Diese Reise war im Herbst 2010 von der Orthodox – Altkatholischen Arbeitsgruppe (OAAG) konzipiert und im Detail von Prof. Grigorios Larentzakis (Graz und Chania) vorbereitet worden. Es war und ist das Anliegen der Arbeitsgruppe, dass der von der Gemischten Theologischen Kommission 1987 erfolgreich abgeschlossene Dialog unbedingt in eine breitere kirchliche Dimension eingebettet werden muss.
Der Besuch der semi-autonomen Kirche von Kreta, die zum Ökumenischen Patriarchat gehört und intern von einer Bischofssynode (unter dem Vorsitz eines Erzbischofs) geleitet wird, war gedacht als ein erster Schritt, interessierten AltkatholikInnen eine vertiefte Begegnung mit orthodoxen Gläubigen und Einsichten in ihr kirchliches Leben zu vermitteln.
Trotzdem die Zahl von 11 altkatholischen Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus dem Raum der Utrechter Union unter den Erwartungen der Organisatoren blieb, wurde der Gruppe mit der Zeit bewusst, wie ernst ihre Anwesenheit genommen wurde, und dass sie gleichsam als eine offizielle Delegation der Altkatholischen Kirche behandelt wurde. Das zeigte sich am deutlichsten bei den Begegnungen mit den Bischöfen, die alle in einer die Delegation ehrenden Weise vor sich gingen. Der Bischof von Kisamos und Selinon, der zugleich der Präsident der Orthodoxen Akademie von Kreta (OAK) ist, lud die Gruppe nach dem Nachtessen am Samstag zum Gottesdienst am darauffolgenden Sonntag ein und schloss dort beim „Grossen Einzug“ die altkatholische Delegation zusammen mit den ebenfalls als Delegation behandelten orthodoxen Begleitern in das Kommemorationsgebet ein – das ist streng genommen ein Ausdruck bestehender Gemeinschaft. Der Erzbischof von Kreta empfing die Gruppe im Saal der Synode zum Mittagessen und wandte sich jedem Gast in einer Weise zu, die einen an Mk 10,43 denken liess. Der anfängliche Widerstand einiger Altkatholiken angesichts der im Programm angekündigten Hierarchentreffen zulasten geplanter Wanderungen oder Badefreuden (zu denen sie aber dennoch ausgiebig kamen) war spätestens hier verflogen …
Von orthodoxer Seite wurde eine Mehrzahl von (deutsch sprechenden) ReferentInnen aufgeboten, um den altkatholischen Gästen verschiedene Aspekte der Orthodoxie, der Geschichte von Kreta wie auch der vielfältigen Tätigkeit der OAK näher zu bringen.
Die OAK erwies sich nicht nur von der Lage direkt am Meer und von der grosszügigen Infrastruktur her als ein idealer Ort für Tagungen und Begegnungen, sondern auch vom dort herrschenden Geist der Offenheit, der offensichtlich auch das Engagement und die Anliegen des Ökumenischen Patriarchates in Sachen Ökumene sowie denEinsatz für Menschenwürde und Bewahrung der Schöpfung widerspiegelt. Wiederholt und eindringlich wurde, zumal von Prof. Larentzakis, uns versichert, dass es der Wille des Ökumenischen Patriarchen sei, dass der Dialog und die Beziehungen mit der Utrechter Union unbedingt fortgesetzt, ja intensiviert werden solle, ungeachtet der Probleme, die es auf beiden Seiten, wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen gibt, und die eine rasche Verwirklichung von Kirchengemeinschaft, wie sie der offizielle Dialog ins Auge gefasst hat, nicht als möglich erscheinen lassen. Dabei ist die altkatholische Ordination von Frauen zum priesterlichen Dienst offenbar nicht das zentrale Problem – sie ist auch nach Ansicht vieler orthodoxer TheologInnen keine dogmatische Unmöglichkeit –, sondern vielmehr das Auseinanderklaffen von eucharistischer und ekklesialer Gemeinschaft, also von Abendmahlsgemeinschaft bei nach wie vor fehlender Kirchengemeinschaft auf Grund von (im Wesentlichen) gemeinsamen Glauben, Kultus und Verfassung. Dass die orthodoxe Seite mit dem Ausdruck „Interkommunionspraxis“ auch die altkatholisch-anglikanische kirchliche Gemeinschaft bezeichnet, ist freilich im Licht der heute verwendeten Terminologie nicht zutreffend. Aber dass im Fall der bestehenden anglikanisch-altkatholischen Kirchengemeinschaft das „Wesentliche“ des Glaubens in seinem Umfang und in seiner Qualität anders gefasst wird als in der angestrebten orthodox-altkatholischen Kirchengemeinschaft, lässt sich kaum bestreiten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Studienreise ihr Ziel erfüllt hat und den Teilnehmenden tiefere Einblicke in die Welt der Orthodoxen Kirche ermöglicht hat.
Bern, September 2011