Um im Rahmen des Dialogs mit der Mar Thoma Syrian church of Malabar (Indien) den Rezeptionsprozess innerhalb der altkatholischen Kirchen zu fördern, hat die Nationalsynode der Christkatholischen Kirche der Schweiz 2016 angeregt, das Departement für christkatholische Theologie der Universität Bern möge eine Konferenz organisieren. Unter dem Titel Indisches und Europäisches Christentum im Dialog: Die ökumenischen Beziehungen zwischen der Mar-Thoma-Kirche und den altkatholischen Kirchen als Quelle interkulturellen Lernens fand diese Konferenz am 5./6. Mai 2017 in Bern statt.
Der erste Tag war dem theologischen Austausch unter Fachleuten gewidmet. Da es den altkatholischen Kirchen ein Anliegen ist, in jedem bilateralen ökumenischen Dialog auch die Meinung der übrigen Partner, mit denen sie im Dialog steht, zu berücksichtigen, waren auch Referierende aus der anglikanischen, orthodoxen und römisch-katholischen Kirche eingeladen (aus der Kirche von Schweden konnte leider niemand teilnehmen). Zudem nahmen die Mitglieder der orthodox-altkatholischen internationalen Arbeitsgruppe an der Konferenz teil; ihre Mitglieder beteiligten sich rege an den Diskussionen. Um von Anfang an den Aspekt des gegenseitigen Lernens in den Mittelpunkt zu stellen, sprach der anglikanische Theologe Prof. Douglas Pratt aus Neuseeland über das Konzept des „Receptive Ecumensim“: die Grundhaltung, im ökumenischen Dialog nicht den anderen von der eigenen Meinung überzeugen zu wollen, sondern den Dialog in erster Linie als Lernprozess für sich selbst aufzufassen.
Der emeritierte Professor des Departements für Christkatholische Theologie Dr. Urs von Arx und die römisch-katholische Fundamentaltheologin Prof. Dr. Barbara Hallensleben aus Fribourg stellten sich der Frage der Kompatibilität der Dialoge: Zeigt sich in verschiedenen ökumenischen Dialogen der gleiche ekklesiologische Ansatz? Sie würdigten die Dialogtexte positiv, doch war ihrem kritischen Blick nicht entgangen, dass sie in ihrer theologischen Reflexionstiefe und inneren Systematik hinter anderen Dokumenten ökumenischer Dialoge zurückbleiben. Das Thema der Tranisitivität ökumenischer Dialoge wurde von Bischof Dr. Harald Rein und Rev. Dr. Joseph Daniel von der Mar-Thoma-Kirche behandelt. Während in früheren Jahrzehnten – etwa im Fall der Philippinischen Unabhängigen Kirche – altkatholischerseits die Bereitschaft vorhanden war, Kirchengemeinschaften, welche die Anglikaner mit anderen Dialogpartnern geschlossen hatten, einfach nachzuvollziehen, so wird das heute anders gesehen: Wenn die altkatholischen Kirchen und die Mar-Thoma-Kirche beide mit den Anglikanern in Kirchengemeinschaft stehen, so begründet dies nicht automatisch eine Kirchengemeinschaft zwischen Utrecht und Kerala – wohl aber fordert es die beiden Kirchen zum Dialog heraus. Drei Vorträge befassten sich schliesslich mit der Frage der ökumenischen Konzilien: der Mar-Thoma-Theologe Rev. Shiby Varghese, das altkatholische Mitglied der Dialogkommission und Mitorganisator der Tagung Pfr. Dr. Adrian Suter und der orthodoxe Post-Doc-Assistent am Departement für Christkatholische Theologie Dr. Stefanos Athanasiou. Sie beleuchteten aus unterschiedlichen Blickwinkel die Frage, wie Kirchen in Dialog oder in Gemeinschaft treten können, wenn sie nicht die gleiche Anzahl von Konzilen als ökumenisch und für sich verbindlich anerkennen.
In der festlichen Vesper in der christkatholischen Kirche St. Peter und Paul hatten die ökumenischen Gäste Gelegenheit, altkatholische liturgische Spiritualität zu erleben. Der emeritierte österreichische Bischof Dr. John Okoro hielt eine kurze Meditation. Nach der Vesper gab es eine Zeit der Begegnung beim Apéro in der Kirche. Beim anschliessenden Abendessen waren die Referierenden der Konferenz Gäste der Kirchgemeinde Bern.
Der zweite Konferenztag richtete sich an ein breiteres, allgemein interessiertes Publikum und wurde unter anderem auch von Synodalen der Christkatholischen Kirche der Schweiz, von indischen Studierenden in der Schweiz und von einer Gruppe Firmlinge der Kirchgemeinde Bern besucht. Als Einstimmung wurde ein Film zur Mar-Thoma-Kirche gezeigt. Thematisch war der zweite Tag aber weiter gefasst: Nicht nur die Mar-Thoma-Kirche im engeren Sinn, sondern deren indischer Kontext im Gegenüber zum west- und mitteleuropäischen, in dem die altkatholischen Kirchen zu Hause sind, wurden von den Referierenden näher beleuchtet. Bischof Dr. Isaac Mar Philoxenos legte die pastoralen und missionarischen Herausforderungen dar, denen sich die Mar-Thoma-Kirche in Indien gegenüber sieht, und auf die sie mit einer Vielzahl von diakonischen Programmen reagiert. Der altkatholische Theologe und Sozialwissenschaftler Prof. Franz Segbers zeigte auf, welche sozialethischen Herausforderungen sich für die Kirchen in einer Welt stellen, deren wirtschaftliche Globalisierung immer weiter voran schreitet. Der Kirchenhistoriker Prof. Klaus Koschorke beleuchtete die bewundernde Haltung der protestantischen Eliten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu den Thomaschristen.
In zwei Gruppen wurden am Nachmittag einige Themen weiter vertieft: Prof. Peter-Ben Smit erläuterte an Beispielen, wie ihm die Begegnung mit der Mar-Thoma-Kirche neue Einsichten für die Interpretation bestimmter neutestamentlicher Texte erschlossen hat. Steffen Emde zeigte die mannigfaltigen Beziehungen, die zwischen Indien und dem deutschen Sprachraum durch die Geschichte bestanden und bestehen. Rev. Sam T. Koshy setzte den Dialog zwischen den altkatholischen Kirchen und der Mar-Thoma-Kirche in Beziehung zum Dokument „The Church: Towards a Common Mission“ des Ökumenischen Rates der Kirchen. Und Miriam Schneider MA warf die Frage auf, welche Lehren man aus interreligiösen Studien für ökumenische Dialoge ziehen kann.
Nachdem schon bei den Vorträgen Zeit für Diskussionen war und auch die Kaffeepausen sehr rege für Gespräche genutzt wurden, bekamen die Konferenzteilnehmerinnen und –teilnehmer in der abschliessenden Podiumsdiskussion Gelegenheit, ihre Rückfragen und Anliegen vorzubringen. Unter der Leitung der Vorsteherin des Departements für Christkatholische Theologie, Prof. Dr. Angela Berlis, stellten sich die Bischöfe Dr. Isaac Mar Philoxenos und Dr. Harald Rein der Diskussion. Dr. Adrian Suter fungierte als „Anwalt des Publikums“, indem er Fragen aus dem Kreis der Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer, welche in Kleingruppendiskussionen im Lauf des Tages formuliert und gesammelt worden waren, in die Podiumsdiskussion einbrachte.
Am Rand der Konferenz vereinbarten die anwesenden Mitglieder der gemeinsamen Dialogkommission, für den Sommer 2018 ein weiteres Treffen der Kommission einzuberufen, bei dem einige der Fragen, welche die Konferenz aufgeworfen hat, weiter verfolgt werden sollen. Mögliche Themen sind die Rezeption Ökumenischer Konzile unter Berücksichtigung entsprechender Dokumente aus den Dialogen anderer chalcedonensischer und nicht-chalcedonensischer Kirchen; der Umgang mit gesellschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart, welche eine Herausforderung für die Kirchen darstellen (z. B. Stellung der Frauen in der Kirche, Homosexualität, Wirtschaft im globalen Kontext); die Praxis des ökumenischen Zusammenlebens der beiden Kirchen, wenn sie ein näheres Zusammengehen oder eine Kirchengemeinschaft beschliessen.
Dr. Adrian Suter
Fotos: Peter Feenstra