Die Beziehung zwischen Altkatholiken und Orthodoxen entwickelte sich in fünf Phasen. Die erste dauerte von 1871 bis 1888. Während die niederländische Altkatholische Kirche des 18. Jahrhunderts die römischen Anatheme gegen die Ostkirche wiederholten, begann die junge Anti-Vatikan-Bewegung in Deutschland Initiativen zu einem seriösen Dialog zu ergreifen. Wie die Anglikaner wurden auch die Orthodoxen nach Bonn zu den Wiedervereinigungskonferenzen von 1874 und 1875 eingeladen. Es wurde beschlossen, dass für die Einheit eine Einigung über den Glauben der ökumenischen Räte, die Schrift und Tradition, das Bischofsamt und die sieben Sakramente notwendig sei. Sowohl die Entwicklungen, die zur Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit in der Römisch-katholischen Kirche, als auch diejenigen, welche im Protestantismus zu Diskontinuität in der Frühen Kirche geführt hatten, wurden zurückgewiesen. In Bezug auf das filioque wurde entschieden, dass der Ausdruck fälschlicherweise ins Credo eingefügt worden war, dass es jedoch möglich sei, ihn auf orthodoxe Weise zu erklären.
Die zweite Phase dauerte von 1889 bis 1917, d.h. von der Gründung der Utrechter Union bis zur Russischen Revolution. In dieser Zeit wurden in Rotterdam (altkatholische) und in St. Petersburg (orthodoxe) Dialogskommissionen gebildet. Sie trafen sich nie, tauschten jedoch Memoranda über das filioque, die Eucharistie und die kanonische Gültigkeit der altkatholischen episkopalen Struktur aus. Konservative Theologen, wie Bischof Sergius von Yamburg, der spätere Patriarch von Moskau, verlangten, dass die Altkatholische Kirche zunächst alle Orthodoxen Kirchen als die einzig wahre Kirche anerkennen sollten.
1904 schrieb Patriarch Joachim von Konstantinopel eine Enzyklika, in der er von den altkatholischen Kirchen ein offizielles und umfassendes Bekenntnis zum Glauben verlangte. Aufgrund von Kommunikationsproblemen wurde diese Forderung in Utrecht nicht entgegengenommen (die Forderung wurde wiederholt und 1970 erfüllt). 1912 hielt die russische Kommission fest, dass durch die Anerkennung der Heiligen Synode alle der Rotterdam-Kommission vorgelegten Fragen zufrieden stellend beantwortet worden seien.
Die dritte Phase erstreckte sich von 1920 bis 1960. Die Initiative verschob sich nun von Russland nach Konstantinopel. Drei Monate nach dem anglikanisch-altkatholischen Bonner Abkommen 1931 fand am selben Ort eine altkatholisch-orthodoxe Konferenz statt. Es wurden keine anhaltenden schwerwiegenden dogmatischen Unterscheidungspunkte gefunden, aber die orthodoxen Delegierten hatten keine Befugnis, die Entscheidungen der Konferenz für ihre Kirchen zu akzeptieren. Keiner von ihnen thematisierte die kürzlich beschlossene anglikanisch-altkatholische Interkommunion. Die später von orthodoxer Seite an dieser Beziehung erfolgte Kritik war für die Altkatholiken enttäuschend, besonders weil der Vorsitzende der Konferenz von 1931 – einer der nachträglichen Kritiker – der vollständig informierte orthodoxe Bischof Grossbritanniens war.
Die vierte Phase dauerte von 1961 bis 1975, d.h. von der pan-orthodoxen Konferenz 1961 auf Rhodos und der offiziellen Übergabe der ‘Homologia’ von den Altkatholiken an den ökumenischen Patriarchen am 21. Juni 1970 (diese war erstmals 1904 verlangt worden) bis zum tatsächlichen Beginn des “Dialogs der Wahrheit” zwischen den gemeinsamen Kommissionen der altkatholischen und orthodoxen Theologen 1975.
Die fünfte Phase bestand aus dem direkten Dialog zwischen 1975 und 1987 über folgende Themen:
(1) die Doktrin von Gott: die göttliche Enthüllung und ihre Transmission, der Kanon der Heiligen Schrift, die heilige Dreifaltigkeit,
(2) Christologie: die Inkarnation von Gottes Wort, die hypostatische Union, die Muttergottes,
(3) Ekklesiologie: die Natur und Zeichen der Kirche, die Einheit der Kirche und der lokalen Kirchen, die Grenzen der Kirche, die Autorität der Kirche und in der Kirche, die Unfehlbarkeit der Kirche, die Synoden (Räte) der Kirche, die Notwendigkeit der apostolischen Sukzession, der Kopf der Kirche,
(4) Soteriologie: das rettende Werk Jesu Christi, das Wirken des heiligen Geistes in der Kirche und die Zuteilung der Erlösung,
(5) die Doktrin der Sakramente: die Sakramente der Kirche, Taufe, Konfirmation, die Eucharistie, Busse, Krankensalbung, Ordination, die Ehe,
(6) Eschatologie: die Kirche und das Ende der Zeit, Leben nach dem Tod, die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt und
(7) die ekklesiastische Kommunion: Bedingungen und Konsequenzen.
Zwischen 1975 und 1987 erzielten beide Seiten in allen diesen Punkten eine formelle Einigung.
Das Ende dieses Dialogs markierte zugleich den Beginn der sechsten Phase des altkatholisch-orthodoxen Dialogs. Es lag nun an den Kirchen zu entscheiden, welche praktischen Schlüsse aus dem erreichten theologischen Abkommen gezogen werden können. Ein wichtiger Punkt für die Überlegungen ist noch immer die ‘full communion’ zwischen den Altkatholischen Kirchen und anderen Kirchen sowie das Ausmass, in dem die altkatholisch-orthodoxe Gemeinschaft in der aktuellen ökumenischen Situation eine exklusive sein könnte und sollte. Es ist noch immer eine offene Aufgabe, die positiven Ergebnisse dieses bilateralen Dialogs mit den multilateralen des Ökumenischen Rats der Kirchen zu verbinden.
Diese sechste Phase des Dialogs ist heute durch zusätzliche Probleme bestimmt: die Einführung der Frauenordination in den altkatholischen Kirchen und die enge Beziehung einiger altkatholischer Kirchen mit reformatorischen Kirchen. Die erste Frage ist noch immer strittig; zur zweiten Frage wurde betont, dass nirgendwo eine volle Interkommunion eingegangen worden war.
Auf Initiative des Patriarchen von Konstantinopel und des Erzbischofs von Utrecht wurde 2004 eine permanente Arbeitsgruppe zur Reflektion und zum Austausch ins Leben gerufen. Man erhofft sich davon, dass die Arbeitsgruppe einen Anstoss zu gemeinsamen (pastoralen wie theologischen) Projekten geben wird.